Ein Russischer Sommer: Interview mit Produzent Jens Meurer

Bild von Johanna Mahlberg
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Von Anthony Quinn zu Jens Meurer. Auf welchem Weg gelangte das Projekt bzw. die Rechte an der Verfilmung zu Egoli Tossell?
Die Buchrechte an Jay Parinis „Tolstojs letztes Jahr“ hatte sich einst Anthony Quinn gesichert, in der Hoffnung, den großen Dichter zu spielen. Doch dann starb er. Seine damalige Assistentin war Bonnie Arnold, die später den ersten Toy Story-Film produzierte. Ihr vererbte Quinn die Rechte. Der Film aber wurde erst Wirklichkeit, als sie Michael Hoffman traf. Die beiden begannen, das Drehbuch gemeinsam zu entwickeln, und kamen mit einer frühen Fassung über Zephyr Films zu Egoli Tossell – in der (richtigen) Annahme, dass wir gut und gerne Filme in Russland machen. Wir stellten dann wiederum den Kontakt zur heutigen Familie Tolstoi in Jasnaja Poljana her. Die Familie verwaltet dort ja nach wie vor das Gut Jasnaja Poljana, das Archiv und das Museum. Auch unser langjähriger Partner von Russian Ark, Andrey Deryabin, war beteiligt.

Gedreht wurde jedoch nicht an den Originalschauplätzen, sondern in Deutschland. Ein ganz besonderer Anspruch an das Location-Scouting?
Es war nicht unser Anspruch, ein authentisches Biopic zu drehen. Es geht um ganz Allgemeines, Menschliches: Liebe, Ehe, Idealismus – und wie leicht man damit scheitern kann. Das ist vom Ort unabhängig. Dennoch sollten die Drehorte natürlich die richtige Stimmung vermitteln. Das war in Sachsen-Anhalt unschwer herzustellen. Der Film-Bahnhof in Pretzsch – fast zur gleichen Zeit und im gleichen Stil gebaut wie das Original in Astapowo – ähneln sich sehr. Tolstois Inneneinrichtung anno 1910 kann man auch heute noch am Flohmarkt an der Straße des 17. Juni wieder finden. Ich lege Wert darauf, dass wir eine seltene offizielle deutsch-russische Co-Produktion sind, mit der offiziellen Unterstützung der Familie Tolstoi.

Und sind die Tolstois glücklich über das Ergebnis?
Wir hatten von Anfang an, schon bei meiner ersten Recherchereise mit Michael Hoffman, eine gewisse Konsultation, Beratung und Lenkung durch die Familie. Wir haben ihnen, vor allem dem Familienoberhaupt Vladimir Tolstoi – er wäre der heutige Graf Tolstoi –, den fertigen Film gezeigt. Sie haben ihn offiziell gut geheißen. Um genau zu sein, haben sie sich sehr, sehr gut amüsiert und gelacht.

Über den großen Tolstoi zu lachen, kommt in Russland beinahe einem Sakrileg gleich...
Dass man mit und über ihren Großvater oder Urgroßvater lachen kann, war wohl eine neue Erfahrung für die Tolstois. Es war aber auch ihnen von Anfang an klar, dass es sich um die Interpretation eines Filmemachers handelt. Der Ansatz bei EIN RUSSISCHER SOMMER ist beinahe im Tschechowschen Sinn ein reiches Familien- und Liebesdrama, das aber auch ziemlich witzig ist.

Für einige Szenen gab es auf dem Festival in Rom Standing Ovations. Hat das die Tolstois besonders gefreut?
Die Familie hat an verschiedenen Festivalpremieren teilgenommen. Vladimir Tolstoi und die direkteste Verwandte Tatiana waren bei der Weltpremiere auf dem Telluride Festival dabei. Der italienische Zweig, die Albertini-Familie, die einst den „Corriere della Sera“ gründete, war in Rom anwesend und ebenfalls sehr angetan. Wir haben uns mit der Familie angefreundet. Und so kam auch die Idee, im nächsten Sommer in Jasnaja Poljana eine große Open Air-Vorführung für das russische Publikum zu veranstalten. Die Tolstois organisieren ohnehin viel auf ihrem Gut. Zum Beispiel wurde dort in diesem Jahr auch ein Theaterstück im Garten aufgeführt, das Volker Schlöndorff inszeniert hat.

In EIN RUSSISCHER SOMMER kommt Sofia Tolstoi wesentlich besser weg als nach offizieller Lesart...
Die Sichtweise auf Sofia, also auf Helen Mirrens Figur, war die letzten 100 Jahre lang ziemlich umstritten. Nach offizieller, russischer Sicht war sie eine Furie. Sie hat ein Genie in den Wahnsinn und von zu Hause fort getrieben, in den sicheren Tod auf der Flucht. Selbst als wir in den Archiven recherchierten, waren die sehr russischen Damen überhaupt nicht davon begeistert, dass man sich für Sofia interessierte. Ich glaube aber, dass die Wahrheit eher in unserer revisionistischen Version liegt. Sofia war wohl eine ziemlich emanzipierte und starke Frau, die selbst viel geleistet hat.

Weil sie die Romane ihres Mannes mehrfach handschriftlich kopiert hat?
Sie war eine der ersten wirklichen Fotografinnen in Russland, schon Mitte des 19. Jahrhunderts! Das hat sie dann 30 Jahre lang aufgegeben, um ihrem Mann beizustehen, als er seine großen Werke schuf. Sofia hat erst Ende des Jahrhunderts wieder angefangen, intensiv zu fotografieren. Die meisten guten Porträts, die wir von Tolstoi kennen, stammen von ihr. Sie hat am Lebensende selbst einen Roman veröffentlicht, der erst vor ca. zwei Jahren auf deutsch erschien: „Eine Frage der Schuld“. In diesem Buch gibt sie eine Gegenreaktion auf die „Kreutzersonate“ ihres Mannes, in der er ja sehr für Enthaltsamkeit und gegen eine freie Sexualität plädiert. Das muss man sich mal vorstellen: Tolstois Ehefrau verfasst einen Gegenroman, der dann aber unterdrückt wurde. Das ist eine tolle Geschichte an sich. Die Russen kannten nur den großen Lew als beinahe Heiligen. Unser Film stellt die Wirklichkeit wieder ein wenig vom Kopf auf die Beine.

Oder auch ins Bett?
Tolstoi hat, bis er Sofia geheiratet hat, wie man so schön sagt: rumgehurt. Das weiß man auch deshalb, weil er das alles aufgeschrieben hat. Tolstoi hat über seine ganzen Liebschaften Tagebuch geführt. Und dieses Tagebuch hat er seiner Frau am Hochzeitstag geschenkt, damit sie das alles nachlesen kann. Sehr charmant.

Sofias Darstellerin Helen Mirren entstammt selbst einer russischen Familie...
Deshalb war es auch für sie ein Film, der sie von Anfang an motiviert hat. Weil es eine Wiederbegegnung mit den eigenen, russischen Wurzeln war. Helen Mirren hat kurz vor unserem Dreh eine Autobiografie in Bildern herausgegeben. Und die ersten Kapitel handeln von ihrer Herkunft in Russland. Sie konnte sich also sehr gut in eine russische Aristokratin hineindenken.

Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit darüber hinaus?
Mir ist aufgefallen, dass Helen Mirren extrem gut vorbereitet war, und sehr genau wusste, wie sie die Rolle spielt. Unser erstes gemeinsames Erlebnis war eine Pressekonferenz zu Beginn der Dreharbeiten. Auf dieser sagte sie, sie sei richtig happy in Deutschland zu sein. Es sei nicht ihr erstes Mal, sie wisse auch genau wo sie sei, nur aussprechen könne sie „Sachsen-Anhalt“ nicht. Deshalb nennen sie es „Sexy-Anhalt“. Damit hatte sie sofort viele Herzen gewonnen: Helen Mirren im Osten – Heldin der 'Super-Illu'! Ihre wirkliche Arbeit in „Sexy-Anhalt“ war dann aber auch so warm und bodenständig wie dieses Statement klang. Zum Beispiel wollte sie keine Limousine mit Fahrer wie sonst üblich, sondern selbst fahren. Sie hatte dann einen Kleinwagen. Beim Dreh in Pretzsch, während der ganz intensiven Bahnhofsszenen, wohnte sie am liebsten im nahegelegenen Kurort Bad Schmiedeberg, in einem Kurhotel – weil es da schöne Moorpackungen gab. Wenn die Kostüme weg sind, ist Helen Mirren eine völlig umgängliche, sehr höfliche und auch humorvolle Person.

Erst Russian Ark, nun EIN RUSSISCHER SOMMER. Woher kommt Ihre Affinität zu Russland?
Mein erster bezahlter Arbeitstag als Filmemacher war vor genau 20 Jahren im damaligen Sowjetrussland, im Dokumentarfilmstudio von Leningrad. Das war eine Co-Produktion des Fernsehens der DDR, dem Leningrader Dokumentarfilmstudio und dem Bayerischen Rundfunk. Bis das Projekt fertig war, gab es die DDR und auch die Sowjetunion nicht mehr. Es wurde dann 1992 als vierteilige Dokumentarfilmserie mit dem Titel „Das letzte Jahr der Sowjetunion“ ausgestrahlt. Dadurch habe ich Russland sehr gut kennen und lieben gelernt.

Sie haben mit Sergey Yevtushenko auch einen russischen Komponisten eingesetzt...
An diesem ersten Arbeitstag damals kam ich zur Tür hinein und hörte, dass Musik gespielt wurde. Ich fragte, was denn da los sei. Da war hinter einer Tür ein Saal, in dem ein Orchester gerade Musik aufnahm. Es stellte sich heraus, dass sich dieses Dokumentarfilmstudio in einem ehemaligen Bordell befand. Und in diesem Bordell gab es ursprünglich einen Tanzsaal mit Balkonen, von denen die Herren von oben herab die Damen begutachten konnten. Dieser Tanzsaal wurde das Aufnahmestudio für die sowjetischen Wochenschauen. Genau an jener Stelle haben wir jetzt mit Sergey Yevtushenko die Musik für EIN RUSSISCHER SOMMER aufgenommen. Sergey ist in seiner täglichen Arbeit musikalisch-technischer Direktor am Marinskii Theater, und ich glaube, von ihm werden wir noch sehr viel hören! Also: Ich bin gerne in Russland und habe auch schon neue russische Projekte. Eines ist die wahre Liebesgeschichte zwischen Katharina I. und Peter dem Großen, eine unglaublich dramatische Geschichte, love at first sight...